Veranstaltung: | 56. Landesversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 10. Weitere Anträge (V-Anträge) |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesversammlung |
Beschlossen am: | 25.03.2023 |
Eingereicht: | 06.04.2023, 15:51 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Bessere Migrationspolitik für alle! Menschlichkeit und Lösungsorientierung als Leitlinien für Zuwanderung und Integration in Sachsen.
Beschlusstext
Präambel
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Wir brauchen endlich eine bessere, eine
menschenrechtsbasierte, nachhaltige und lösungsorientierte Migrations- und
Asylpolitik für alle! Wir streiten dafür, dass sächsische Migrationspolitik an
den Leitlinien Menschlichkeit und Lösungsorientierung ausgerichtet wird, um
Sachsen besser und vielfältiger zu machen. Und als einen wesentlichen Antrieb in
diesem Prozess brauchen wir endlich ein verbindliches sächsisches Integrations-
und Teilhabegesetz. Im sächsischen Koalitionsvertrag ist festgehalten, dass bis
2021 ein sächsisches Integrations- und Teilhabegesetz vorgelegt wird. Das
federführende sächsische Sozialministerium muss jetzt handeln und ein
ambitioniertes Gesetz vorlegen.
Der Bedarf an besserer Migrations-, und Integrationspolitik in Sachsen besteht
in vielerlei Hinsicht: Zum einen brauchen zugewanderte Menschen organisatorische
und gesetzliche Verbesserungen hinsichtlich Versorgung, Sicherheit und
gesellschaftlicher Teilhabe.
Zum anderen brauchen Kommunen dringend und schnell mehr Unterstützung bei der
Bewältigung von Integrationsaufgaben. Außerdem hat Sachsen einen enormen Bedarf
an Arbeitskräften und kann ohne Zuwanderung wirtschaftlich nicht bestehen.
Zudem sind Vielfalt und Diskriminierungsschutz für das gesellschaftliche Klima
in Sachsen essenziell. Ein Umdenken, Nachsteuern und Investieren in der
sächsischen Migrationspolitik sind unabdingbar für unser gesellschaftliches
Zusammenleben. Lösungsorientiertes Handeln in der Asyl-, Integrations- und
Migrationspolitik bringt Vorteile für alle Menschen in Sachsen.
Hinzukommt, dass das Menschenrecht auf Asyl nicht nur ein persönliches Anrecht
gefährdeter Personen ist, sondern eine Verpflichtung für alle Staaten darstellt.
Sachsen muss dieser Verpflichtung tatkräftig und entschieden nachkommen. In
einer Welt multipler Krisen ist die Aufnahme und gute Versorgung geflüchteter
Personen ein zentraler Bestandteil politischer Verantwortung, den Bund, Länder
und Kommunen gemeinsam tragen müssen. Wir setzen uns ein für eine Politik der
Verantwortung und Menschlichkeit.
Die Wahrung der Menschrechte muss für alle Geflüchteten durchgesetzt werden –
unabhängig von ihrer Perspektive zur Integration, insbesondere in den
Arbeitsmarkt. Menschenrechte gelten für alle, nicht nur für Arbeitnehmer*innen.
Wir können nicht dulden, dass Grundrechte unter Kosten-Nutzen-Aspekten
verhandelt werden.
Gesellschaftliche Vielfalt fördern und leben
Wir BÜNDNISGRÜNE sind überzeugt, ein Sächsisches Integration- und Teilhabegesetz
(SächITG) wäre ein enorm wichtiges Signal an die Zivilgesellschaft, hin zu
Willkommenskultur und mehr Menschlichkeit. Wir fordern das zuständige
Sozialministerium auf, den Koalitionsvertrag (S. 74) in diesem Punkt endlich
umzusetzen und hier nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner anzustreben.
Sachsen braucht ein starkes und ambitioniertes Integrations- und Teilhabegesetz.
Gelingende Integration ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben in
Sicherheit sowie gesellschaftliche Akzeptanz. Wir streiten als Bündnisgrüne für
ein Integrations- und Teilhabegesetz, das nach vorne denkt und handelt. Es ist
die Rechtsgrundlage für kommunale Integrationsarbeit,
migrationsgesellschaftliche Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung sowie für
Teilhabe in vielen Bereichen der Gesellschaft.
Gelingende Integration ist nicht nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen
vernünftig. Vielfalt und Inklusion sind als gesamtgesellschaftliche Ziele zu
verstehen. Wir wollen, dass Zugewanderte und Zuwandernde in Sachsen als die
Bereicherung verstanden werden, die sie für unsere Gesellschaft darstellen.
Diese Menschen tragen dazu bei, dass Sachsen vielfältiger wird. Es steht in
unserer Verantwortung, dass sie vor Diskriminierung und Rassismus geschützt
werden und gleichberechtigt gesellschaftlich teilhaben können.
Einen wichtigen Schlüssel stellen hierbei Bildungsangebote dar. Deshalb fordern
wir:
- dass Sprachkurse, auch niederschwellige Formate, verstärkt, flexibel und
gebührenfrei angeboten werden, auch ergänzt durch digitale
Lernmöglichkeiten,
- dass in Bildungseinrichtungen Vielfaltsförderung vorangetrieben wird, wozu
mehr Sprachmittler*innen sowie Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung und
Rassismus in Bildungseinrichtungen gebraucht werden,
- dass dem hohen Bedarf an Weiterbildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für
Sprachlehrkräfte sowie an Sensibilisierungsmaßnahmen für alle im
Bildungsbereich tätigen Personen Rechnung getragen wird,
- dass Kooperationen zwischen lokalen Sport- und Geflüchteteneinrichtungen
gestärkt werden,
- und dass psychosoziale Angebote zur Aufarbeitung von Traumata für
Geflüchtete ausgebaut werden.
Sicherheit und Daseinsfürsorge für Neuzugewanderte gewährleisten
Zugewanderte Menschen in Sachsen haben ein Anrecht darauf, dass ihre
Menschenrechte gewahrt werden. Dies bedeutet, dass Unterbringung und Versorgung
nach den Vorgaben des UNHCR gewährleistet werden müssen. Es muss sichergestellt
werden, dass sie frei von Bedrohung und Diskriminierung in Sachsen leben können.
Es besteht Handlungsbedarf!
Wir BÜNDNISGRÜNE in Sachsen setzen uns für folgende Maßnahmen zur Verbesserung
der Situation geflüchteter Menschen und zur Wahrung ihrer Grundrechte ein:
- Der Bund muss deutlich mehr Mittel bereitstellen und damit den Kommunen
ermöglichen, die kommunalen Pflichtaufgaben der Versorgung, Hilfe und
Inklusion von hier ankommenden Menschen finanziell, personell und
konzeptionell zu stärken.
- Die Flüchtlingssozialarbeit muss personell gestärkt werden. Wir fordern
das zuständige Ministerium auf, in seinem Haushaltsplan dafür Sorge zu
tragen.
- Verbände, Vereine und Initiativen, die in diesem Bereich Aufgaben
übernehmen, müssen planungssicher durch das zuständige sächsische
Ministerium unterstützt werden.
- Einheitliche Standards für Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterkünfte
müssen durchgesetzt werden. Es gilt, einheitliche Hausordnungen und
Gewaltschutzkonzepte zu entwickeln, ihre Umsetzung zu unterstützen und
engmaschig zu kontrollieren, um eine sichere und menschenwürdige
Unterbringung geflüchteter Menschen zu gewährleisten.
- Die Bereitstellung von W-LAN in Gemeinschaftsunterkünften muss
selbstverständlich sein.
- Damit Geflüchtete dezentralen Wohnraum anmieten können, braucht es
Beratungsangebote bei der Wohnungssuche und Maßnahmen gegen
Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt.
- Für eine gute und sichere gesundheitliche Versorgung zugewanderter
Menschen von Anfang an muss in Erstaufnahmeeinrichtungen ausreichend und
entsprechend ausgebildetes medizinisches Personal eingesetzt werden. Zudem
kann eine elektronische Gesundheitskarte für alle Menschen in Sachsen den
Zugang zu Gesundheitsversorgung entscheidend verbessern.
- Es müssen Regelungen getroffen werden, die dabei helfen, alle Formen der
Diskriminierung zu verhindern und die Antidiskriminierungsarbeit
gesetzlich zu verankern.
- Wir brauchen wieder eine unabhängige Asylverfahrensberatung in Sachsen.
Rahmenbedingungen für Arbeitsmarktintegration von Menschen mit
Migrationsbiografie grundlegend verbessern
Verantwortungsvolles und lösungsorientiertes politisches Handeln muss zum Ziel
haben, die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für die
Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Migrationsbiografie grundlegend zu
verbessern.
Hierzu fordern wir:
- Maßnahmen zur Ermöglichung des Spurwechsels für Geflüchtete in die
Erwerbseinwanderung, insbesondere mit Blick auf das Aufenthaltsrecht sowie
zum Abbau von Benachteiligung Geflüchteter auf dem Arbeitsmarkt,
- arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Unterstützung von Arbeitgeber*innen
bei der Einstellung und Förderung von zugewanderten Personen,
- das Abbauen von bürokratischen Hürden insbesondere bei
Anerkennungsverfahren,
- kommunale Stellen und Projekte (z.B. Lots*innen und
Arbeitsmarktmentor*innen) zur Koordination zwischen klein- und
mittelständischen Unternehmen und Migrant*innen – durch Beratung und
Vermittlung kann hier lösungsorientiert Potential vor Ort genutzt werden,
- verstärkte Kontrollen zur Einhaltung von Mindestlohn und Arbeitsschutz, da
insbesondere Migrant*innen durch Lohndumping, schlechte soziale
Absicherung und mangelnde Arbeitsschutzstandards gefährdet sind,
- Beschäftigungsanreize speziell für geflüchtete Frauen, indem ihnen vor
allem der Zugang zu Integrationsmaßnahmen erleichtert wird, etwa durch
Sprachkurse mit Kinderbetreuungsangeboten sowie durch gezielte
Förderprojekte, die geflüchtete Frauen unterstützen,
- die Erleichterung der Integration ins Bildungssystem für jugendliche
Zugewanderte. Denn die Grundlage für einen erfolgreichen Berufseinstieg
junger zugewanderter Menschen ist ihre schnellstmögliche Integration in
das reguläre Bildungssystem. Spezialisierte Klassen mit Fokus Deutsch als
Zweitsprache (Vorbereitungsklassen) sind das passende Mittel für
Schüler*innen mit geringen Deutschkenntnissen. Für junge Menschen mit
fortgeschrittenen Sprachkenntnissen ist hingegen schnelle oder direkte
Integration in den regulären Fachunterricht empfehlenswert. Der Zugang zu
den regulären Klassen in allgemeinbildenden Oberschulen und Gymnasien
sollte für zugewanderte Schüler*innen deswegen erleichtert und auch für
junge Menschen über 16 ermöglicht werden.
Eine bessere Koordination des Spurwechsels kann über das Zentrum für
Fachkräftesicherung und Gute Arbeit Sachsen (ZEFAS) gewährleistet werden. Das
ZEFAS muss mit zusätzlichen Stellen in den nächsten Jahren verstärkt dazu
beitragen, die Integration der schon hier lebenden Migrant*innen in den
Arbeitsmarkt zu ermöglichen, Hürden in diesem Prozess zu identifizieren und
abzubauen.
Aufenthaltsrecht als Schlüssel zur Erwerbstätigkeit nutzen – Arbeit der
Ausländerbehörden verbessern
Wir setzen uns dafür ein, dass die gesetzlichen Möglichkeiten des Spurwechsels
besser ausgenutzt und gesetzlich deutlich verbessert werden. Viele der
Regelungen sind Ermessensentscheidungen. Hier muss zukünftig der
Integrationsgedanke im Vordergrund stehen. Eine entscheidende Rolle spielen
hierbei die Ausländerbehörden.
Wir fordern eine kritische Überprüfung und eine grundlegende Verbesserung der
Arbeit der Ausländerbehörden in Sachsen:
- Ausländerbehörden müssen personell gestärkt werden.
- Das Personal in den Ausländerbehörden muss diversitätssensibel geschult
werden.
- Ausländerbehörden sollen gezielt Menschen mit Migrationsbiografie
einstellen. Die Entwicklung eines Modellprojekts für Menschen mit
Einwanderungsgeschichte in Verwaltungsberufen kann sich hier
richtungsweisend auswirken.
- Bearbeitungszeiten und Wartezeiten auf Termine müssen verkürzt und die
Erreichbarkeit und die Qualität der Beantwortung von Anfragen muss
verbessert werden.
- Der bürokratische Aufwand kann durch eine weniger restriktive Anwendung
der bestehenden Regelungen im Aufenthaltsgesetz optimiert werden.
- Ausländerbehörden müssen zu "Ermöglichungsbehörden" werden, nicht zu
"Verhinderungsbehörden", indem sie Beratungen durchführen – sowohl für
Betroffene als auch für Arbeitgeber*innen.
- Durch das zuständige Ministerium sind Anwendungshinweise zu entwickeln,
die zu einer auf Integration ausgerichteten Nutzung der
Ermessensspielräume in allen Ausländerbehörden führen.
Bürokratische Hürden abbauen und Zugänge zum Arbeitsmarkt eröffnen
Wir BÜNDNISGRÜNE begrüßen die Pläne der Bundesregierung, das
Fachkräfteeinwanderungsgesetz zu modernisieren und die Erwerbseinwanderung
künftig auf die drei Säulen Fachkräfte, Erfahrung und Potenzial zu stellen.
Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein:
- das Konzept für die Beschleunigung und Professionalisierung des
Berufsanerkennungsverfahrens in Sachsen umzusetzen,
- endlich das Sächsische Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz und damit
nachholende Qualifizierungsmaßnahmen zum Ausgleich von Unterscheiden sowie
einen Beratungsanspruch auf den Weg zu bringen,
- das Angebot von berufsbezogenen Sprachkursen und Grundbildungsprogrammen
auszubauen,
- und Beratungsangebote für Arbeitgeber*innen zur Einstellung von
zugewanderten Personen zu erweitern.
Migrationspolitik unter sächsischen Umständen: Menschlichkeit und
Lösungsorientierung unaufhörlich einfordern
Als sächsische BÜNDNISGRÜNE wissen wir, dass Menschenrechte und Nachhaltigkeit
als Leitlinien von Migrationspolitik in Sachsen keine politische
Selbstverständlichkeit sind. Lösungsorientierte und verantwortungsvolle
migrationspolitische Maßnahmen stoßen unter aktuellen politischen
Mehrheitsverhältnissen nicht selten auf Widerstände. Als BÜNDNISGRÜNE in Sachsen
fühlen wir uns den Leitlinien Menschlichkeit und Lösungsorientierung
verpflichtet: Wir streiten weiter für eine bessere, also humane und gerechte,
nachhaltige und lösungsorientierte Migrations- und Asylpolitik für alle!
Begründung
Migration ist eins der wichtigsten Zukunftsthemen für uns und in schnellem Wandel begriffen. Deshalb halten wir eine BÜNDNISGRÜNE Positionierung mit vielen Fakten für notwendig.