Veranstaltung: | 56. Landesversammlung |
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Tagesordnungspunkt: | 10. Weitere Anträge (V-Anträge) |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Landesversammlung |
Beschlossen am: | 25.03.2023 |
Eingereicht: | 17.04.2023, 16:18 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Kein Bergbau zu Lasten der Natur – Bergrecht ändern, Rohstoffe verantwortungsvoll gewinnen, Bauwende voranbringen
Beschlusstext
Der Protest gegen den Kiestagebau in der Laußnitzer Heide nördlich von
Ottendorf-Okrilla rückt den Konflikt zwischen Rohstoffgewinnung und Naturschutz
aktuell in den Blick. Auf Grundlage von seit Jahrzehnten bestehenden
Abbaurechten erfolgt hier Kiesabbau. Das Abbaufeld Laußnitz 1 ist nun erschöpft
und soll renaturiert werden. Das weitere Abbaufeld Würschnitz ist bereits
genehmigt und wird schrittweise abgebaut. Im Planfeststellungsverfahren befindet
sich das Abbaufeld Würschnitz-West. Naheliegende Moore sind durch den Kiesabbau
gefährdet. Deren vollständiger Schutz muss nicht zuletzt aufgrund ihrer
Klimarelevanz sichergestellt werden. Wir BÜNDNISGRÜNEN sprechen uns gegen einen
Kiestagebau in Würschnitz-West aus, insofern dadurch die umgebenden Moore
irreversibel geschädigt werden.
Der NABU Sachsen und die Bürgerinitiative Contra Kiesabbau kämpfen seit vielen
Jahren gegen den fortschreitenden Kiesabbau. Der Protest gegen den Kiestagebau
in der Radeburger-Laußnitzer Heide, wie gegen andere Bergbauvorhaben, weist auf
das naturzerstörende Potential von Rohstoffgewinnung hin. Wie andere
Bergbauvorhaben erfolgt auch der Kiesabbau in Würschnitz auf Basis rechtlich
verbindlicher Planungs- und Genehmigungsverfahren. Die aktuell geltenden
Rechtsgrundlagen zu akzeptieren bedeutet aber nicht, dass wir die getroffenen
Entscheidungen für richtig halten. In unserem Rechtsstaat kann gerichtlich
überprüft werden, ob die Entscheidung allen Anforderungen des Natur- und
Umweltschutzes Rechnung tragen.
Der Kampf gegen den Raubbau an der Natur und für einen verantwortungsvollen
Umgang mit Rohstoffen prägt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen seit Beginn ihrer
Gründung. Jahrzehntelang haben wir insbesondere gegen den Braunkohletagebau
gekämpft und konnten gemeinsam mit vielen Initiativen und Bürger*innen dessen
verbindliches Ende erreichen. Wir unterstützen lokale Initiativen vor Ort und
setzen uns zugleich für umfassende Verbesserungen wie eine Reform des
Bundesberggesetzes, für einen verantwortungsvollen Umgang mit Rohstoffen und
eine Kreislaufwirtschaft ein, mit der der naturzerstörende Abbau von Rohstoffen
überwunden werden kann.
Bergrecht ändern - Zerstörung unersetzbarer Schutzgebiete verhindern
Bergbau ist oft mit erheblichen Eingriffen in Natur, Landschaft
undBiodiversitätverbunden. Im Bundesberggesetz wurden 1982 die bis dahin
geltenden landesgesetzlichen Vorgaben zusammengefasst und in ein
bundeseinheitliches Regelungsregime überführt. Seitdem wurde es versäumt,
umwelt- und naturschutzrechtliche Anforderungen angemessen zu integrieren.
Ausnahme ist die Umweltverträglichkeitsprüfung, die europarechtlich angeordnet
wurde. Der rechtliche Rahmen für den Bergbau muss dringend überprüft und auf der
Höhe der Zeit weiterentwickelt werden. Nur wenn Natur und Landschaft Vorrang
eingeräumt wird, können sie bei zukünftigen Abbauvorhaben wirksam geschützt
werden.
Analog zum Vorgehen anderer Ostbundesländer sollten Abbauvorhaben in Sachsen
(auch Anträge auf Erweiterungen) entsprechend dem im Jahr 1996 beschlossenen
Gesetz zur Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse bei Bodenschätzen genehmigt
werden. Damit würde der Abbau von Bodenschätzen wie Kies, Sand und Stein über
Baurecht und Immissionsschutzrecht durch die Landkreise entschieden.
Änderungen im Bundesbergrecht sind für einen wirksamen Schutz von Natur und
Landschaft bei Abbauvorhaben notwendig. Die extrem langen Verträge, die
Sonderregelungen für Ostdeutschland, die ungenügende Beachtung von Natur-,
Umwelt- und Landschaftsschutz sind mit den Beschlüssen zum Klimaschutz in Bund
und Land sowie der sich verschärfenden Klima- und Artenkrise nicht vereinbar.
Als sächsische Bündnisgrüne fordern wir deshalb seit Jahren eine Reform des
Bergrechts. Im sächsischen Koalitionsvertrag 2019 haben wir festgehalten, dass
wir uns auf Bundesebene dafür einsetzen. Der Koalitionsvertrag im Bund von 2021
bekennt: „Wir wollen das Bundesbergrecht modernisieren.“
Für eine Bergrechtsreform ist die deutlich bessere Abwägung von Belangen des
Natur-, Klima-, und Ressourcenschutzes gegenüber den Belangen der
Rohstoffgewinnung genauso wichtig wie der endgültige Abschied von der
Genehmigungsfähigkeit von neuen Abbaufeldern für Braunkohle und die
obligatorische Einforderung von Sicherheitsleistungen für die
Wiedernutzbarmachung und die Beweislastumkehr für Betroffene von Tagebau-
Bergschäden.
Um künftig Naturschutzbelange angemessen zu berücksichtigen, fordert der
Landesverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Koalitionsvertrag noch 2023 durch
Prüfung und Änderung des Bundesbergrechtes zum Schutz und Erhalt von Natur und
Landschaft insbesondere in folgenden Punkten umzusetzen:
- Umfassende Bergrechtsreform auf Bundesebene und Beendung der Anwendung der
Sonderregelung für Ostdeutschland durch Anwendung des seit 1996 geltenden
Gesetzes zur Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse bei Bodenschätzen in
jedem aktuell laufenden Genehmigungsverfahren (auch bzgl. Erweiterungen)
- Festlegung eines ausreichenden Mindestabstandes zu benachbarten
Schutzgebieten
- konsequente Anwendung der Abgabenpflichten nach Bundesbergbaugesetz,
Einsatz der so gewonnenen Mittel zur Förderung der Substitutionswirtschaft
und zum Recycling von Rohstoffen
- Festlegung der Zuständigkeit im Bergbau, Beteiligung an
Planfeststellungsverfahren für die Wahrung der Rechte von Schutzgebieten
mit landesweiter, nationaler oder europaweiter Bedeutung auch in
Landesbehörden
- vor Ort frühzeitige Beteiligung der Umweltverbände und Träger öffentlicher
Belange, die beide rechtlich gleichzustellen sind, so unter anderem durch
Veröffentlichung der bergrechtlichen Zulassungsverfahren durch den
Vorhabensträger und die öffentliche Auslegung der Rahmenbetriebspläne nach
dem Bundesberggesetz vor deren Zulassung
Rohstoffe verantwortungsvoll gewinnen
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat deutlich gemacht, wie
verhängnisvoll die Abhängigkeit von Rohstoffen sein kann. Dies gilt insbesondere
für die strategische Abhängigkeit von seltenen Erden und anderen Rohstoffen, für
die wir derzeit auf den Import aus China und anderen nicht-demokratischen
Staaten angewiesen sind. Das Ziel einer grundsätzlichen Rohstoff-Souveränität
rückt auch den Abbau heimischer Rohstoffvorkommen in den Blick.
Es gilt überall dort, wo wir aus guten Gründen nicht auf den Abbau heimischer
Rohstoffvorkommen verzichten können, die höchstmöglichen Umwelt-, Qualitäts- und
Sozialstandards einzufordern. Rohstoffgewinnung in Sachsen darf nur nach dem
neuesten Stand der Technik, unter Vermeidung von Schadstoffeinträgen, mit
minimaler Flächeninanspruchnahme und ohne neue Abraum- und Abfallhalden
erfolgen.
Kies ist ein notwendiger Rohstoff für verschiedenste Bauvorhaben und
Infrastrukturmaßnahmen vom (sozialen) Wohnungsbau, über Rad- und Schienenwege
bis hin zu Fundamenten von Windenergieanlagen. Eine kurzfristige Alternative zum
Verzicht auf den Abbau heimischer Kiesvorkommen liegt im aufwendigen und
klimapolitisch problematischen Langstreckentransport von Kies, der in weiter
entfernten Förderstätten abgebaut und – mit negativen ökologischen
Folgewirkungen und ohne regionale Wertschöpfung - über weitere Strecken
transportiert wird.
Der Landesverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert folgende Punkte bei der
Umsetzung von Bergbauvorhaben wie dem Kiestagebau Würschnitz umzusetzen:
- enge Beaufsichtigung von FFH-Verträglichkeitsprüfungen sowie Festlegung
verbindlicher Grenzwerte und Maßnahmen zum Schutz von Natur und Landschaft
bis hin zu Abbaustopp und Entzug der Abbaugenehmigung bei Nichteinhaltung
des Betriebsplanes
- regelmäßige unabhängige Kontrolle von Verfüllungen und Monitoring der
Auswirkungen des Bergbaus auf Grundwasser und Schichtenwasser durch
betriebsfremde Institutionen unter Hinzuziehung der Wasserbehörden
- Herstellung von Transparenz durch Veröffentlichung von Betriebsplänen
einschließlich Sonderbetriebsplänen
- Entwicklung von Standards, die die Verwendung von C02-emissionsfreier
Förder- und Transporttechnik, die Minimierung der Flächeninanspruchnahme
und die Vermeidung neuer Abraum- und Abfallhalden zum Ziel haben
- Verpflichtung auf biodiversitätsfördernde Maßnahmen über die gesamte
Vorhabendauer (Planung, Abbautätigkeit, Wiedernutzbarmachung), um z.B.
Pionierstandorte und Pionierarten zu ermöglichen (Konzept „Natur auf
Zeit“)
- Beauflagung von umfassenden Ausgleichsmaßnahmen zum ortsnahen Ersatz von
Waldflächen mindestens 1:1
- Gewährleistung von Moorschutz- und -revitalisierung als Teil der
nationalen Moorschutzstrategie und des Aktionsprogramms Natürlicher
Klimaschutz
- Prüfung der Auswirkungen des Bergbauvorhabens auf Natur und Umwelt durch
einen Gutachter oder eine Gutachterin, die nicht vom Träger des
Bergbauvorhabens beauftragt sein darf (Interessenkonflikt, Vermeidung von
Gefälligkeitsgutachten)
- Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen, vor Beginn des Bergbauvorhabens
- Ausschluss eines vorzeitigen Maßnahmebeginns
Bauwende voranbringen und Kreislaufwirtschaft stärken
Neben Energie- und Verkehrswende ist die Bauwende von essenzieller Bedeutung für
einen wirksamen Klimaschutz. Mittel- und langfristig muss es darum gehen, den
Abbau von Kies wie den Abbau aller Primärrohstoffe weitgehend zu reduzieren.
Umbau und Sanierung vor Abriss und Neubau kann dazu ebenso einen Beitrag leisten
wie der Einsatz nachwachsender und kreislauffähiger Rohstoffe. Durch Recycling
von Baumaterial kann die Nachfrage nach Kies verringert und die Zerstörung
unserer Naturräume dauerhaft reduziert werden. Ziel ist perspektivisch, alle für
Baumaßnahmen notwendigen Rohstoffe im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft zu
gewinnen und damit weitgehend auf den Abbau von Kiesen und anderen Baustoffen zu
verzichten.
Dieses Ziel wurde 2019 im Koalitionsvertrag zwischen CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und SPD durchgesetzt und infolgedessen in der Neuen Sächsischen
Rohstoffstrategie des Freistaats verankert. Die Umsetzung dieser Strategie, mit
der Kiesabbau deutlich reduziert werden kann, muss nun gemeinsam mit der
Bauwirtschaft erfolgen. Technologie- und Verfahrensentwicklung muss ebenso wie
die Weiterentwicklung von Normen Hand in Hand mit einem effizienterem
Rohstoffeinsatz gehen, wenn der einfache Ersatz von heimischen Rohstoffen durch
aus aller Welt importierte Rohstoffe vermieden werden soll.
Der Landesverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert deshalb die Umsetzung folgender
Punkte:
- Erarbeitung einer Landesstrategie mit konkreten Maßnahmen für Recycling,
Abfallvermeidung, Wiederverwendung sowie ressourcenschonender Prozesse
beim Bauen und Vorlage bis Ende 2023
- Verankerung des Prinzips Umbau und Sanierung vor Abriss und Neubau im
Hochbau des Freistaats
- Nutzung der vorhandenen rechtlichen Grundlagen, um Nachfrageanreize im
Bereich des Baustoffrecyclings zu erhöhen, um die Deponierung
mineralischer Abfälle konsequent zu reduzieren und Recyclingbaustoffe zu
verwenden
- Unterstützung der Bauwirtschaft und der öffentlich-rechtlichen
Entsorgungsträger bei der Einführung und Etablierung innovativer
Maßnahmen, Technologien und Prozesse mit dem Ziel der Abfallvermeidung,
des Recyclings und der Wiederverwertung und Darstellung der hierzu
ergriffene bzw. geplante Maßnahmen
- Unterstützung der Verwendung kreislauffähiger und nachwachsender Baustoffe
und Entwicklung entsprechender Standards im öffentlichen Hochbau
Begründung
Mit dem öffentlichen Protest gegen den Kiestagebau in Würschnitz ist der Konflikt zwischen Rohstoffgewinnung und Naturschutz aktuell wieder in den Blick geraten. Neben dem bereits erschöpften und in der Renaturierung befindlichen Abbaufeld Laußnitz 1 und den bereits 1997 genehmigten und nun für den Abbau vorbereiteten Abbaufeld Würschnitz läuft aktuell das Planfeststellungsverfahren für den Tagebau Würschnitz-West und damit eine Erweiterung des Kiestagebaugebietes. Für dieses Abbaugebiet beauftragte der Nabu die Erstellung eines Gutachtens, das auf eine potentielle Gefährdung der naheliegenden Moore hinweist.
Wir engagieren uns als Grüne vor Ort, in der Landtagsfraktion und in Regierungsverantwortung für einen vollständigen Schutz der Moore. Als Landesverband sprechen uns klar gegen einen Kiestagebau in Würschnitz-West aus, mit dem die umgebenden Moore irreversibel geschädigt werden. Wir sind uns zugleich der gegebenen rechtlichen Rahmenbedingungen bewusst.1 So kann auch ein neues Bergrecht voraussichtlich nichts anlaufenden Verfahren und bestehenden Genehmigungen in Würschnitz ändern. Dennoch setzen wir uns mit Nachdruck für Veränderungen im Bergrecht ein.
Der Konflikt um diesen Kiestagebau hat erneut die Fragen um Bergrecht im Spannungsfeld mit Naturschutz, einem verantwortungsvollen Umgang mit Rohstoffen und Rohstoffgewinnung sowie Alternativen der Kreislaufwirtschaft aufgeworfen. Seit unserer Gründung kämpfen wir gegen den Raubbau an der Natur und für einen verantwortungsvollen Umgang mit Rohstoffen.
Nachdem wir bereits 2009 im Bundestag mit unserem MdB Peter Hettlich für eine Novellierung des Bergrechts gekämpft haben, hat 2012 die LDK Leitlinien zur Rohstoff- und Wertstoffpolitik gefasst. Die Leitlinien bieten in weiten Teilen nach wie vor Orientierung für unser politisches Handeln.2 2022 haben wir mit einem erneuten LDK-Beschluss unsere Leitlinien für nachhaltiges Bauen abgesteckt3. Zudem haben wir die Einrichtung eines Holzbaukompetenzzentrums im Freistaat erreicht und setzen uns für weitere Schritte beim Einsatz nachwachsender4 und recycelter5 Rohstoffe ein.
Mit der Regierungsverantwortung in Freistaat und Bund haben sich Spielräume für eine verantwortungsvolle Wertstoffpolitik eröffnet. Im Bund steht eine Novellierung des Bergrechts an. Hierfür formulieren wir klare Anforderungen, um Natur- und Umweltschutz ein deutlich größeres Gewicht in den Genehmigungsverfahren zu geben. Die Koalition im Bund muss die Bergrechtsreform schnell und umfassend angehen. Mit unserer Regierungsbeteiligung konnten wir in der neuen Sächsischen Rohstoffstrategie einen nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen verankern, der sich nun in konkretes Handeln übersetzen muss.6 Die Rohstoffgewinnung muss unter höchsten Umwelt-, Qualitäts- und Sozialstandards erfolgen, deren Einhaltung unabhängig kontrolliert und falls notwendig sanktioniert wird. Um umfassende Ausgleichsmaßnahmen zu gewährleisten, sollten neue Wege wie eine Waldumwandlungsabgabe nach Brandenburger Vorbild beschritten werden. Um die Notwendigkeit von Bergbauvorhaben zu reduzieren, setzen wir uns für eine umfassende Bauwende ein, eine Umbaukultur7, die auf nachwachsende Rohstoffe und das Recycling von Baustoffen setzt.
1 Nähere Informationen zum Kiestagebau Würschnitz: https://volkmar-zschocke.de/kiesabbau-im-heidebogen-fakten-statt-propaganda/
Holzbaukompetenzzentrum: https://hksachsen-gmbh.de